Prof. Mayrhofer, verraten Sie uns, was sich hinter den Formeln auf der Tafel verbirgt?
Wir beschäftigen uns gerade mit Wolframcarbid und Wolframnitrid. Der Ansatz ist, Wolfram in eine harte, feste Schicht einzubauen. Bei Kontakt mit einer schwefelhaltigen Umgebung und hohen Drücken entwickelt diese einen Schmierstoff. Die Wirkung wäre vergleichbar mit Molybdänsulfid.
Im Prinzip kreieren Sie Werkstoffe, die es in der Natur so nicht gibt, richtig?
So ist es. Unser Ziel ist es, Werkstoffe mit höherer Festigkeit und höherer Zähigkeit zu entwickeln, aber auch höherer thermischer Stabilität. Meistens sind diese Eigenschaften jedoch gegenläufig. Wenn Sie die Härte eines Materials verbessern, machen Sie das normalerweise auf Kosten der Zähigkeit. Und umgekehrt.
Ein Beispiel für den Laien wäre?
Gold ist bekanntermaßen ein weiches Metall, das man gut verformen kann. Ein Messer aus Gold hingegen würde wenig Sinn machen, weil es nach dem ersten Schnitt stumpf wäre. Bei einem Messer aus Keramik passiert das nicht. Allerdings würde das, wenn es runterfällt, sofort zerbrechen. Wir suchen also die Verbindung aus den Stärken von Materialien, um damit ihre Schwächen zu kompensieren.
Wie kommt man zu so einem Beruf?
In meiner Schule im Burgenland gab es in der 8. Schulstufe einen Eignungstest für die Berufswahl. Dabei kam heraus, dass ich einen technischen Beruf machen sollte. Ein Cousin meiner Mutter war Werkstättenlehrer an der Höheren Technischen Lehranstalt (HTL) in Eisenstadt. Der meinte, ich solle die Fachrichtung Werkstofftechnik wählen. Einige Lehrer an der HTL kamen von der Montanuniversität Leoben, wo ich dann auch Werkstoffwissenschaft studiert habe.
Was ist das Faszinierende an Werkstoffwissenschaft?
Ohne Werkstoffwissenschaft würde es keine Technik geben. Die Entwicklung der Menschheit war immer mit Werkstoffen verbunden. Nicht umsonst hat man ganze Epochen nach ihnen benannt: Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit, …
In welcher Werkstoffepoche leben wir heute?
Als Werkstoffwissenschaftler würde ich sagen: in der Siliziumzeit. Silizium ist ein Halbleiter. Ergo ginge auch Halbleiterzeit. Allerdings braucht man für die Kommunikation der modernen Welt, also Smartphones, Computer, Laptops und so weiter, auch Metalle der Seltenen Erden. Das ist noch ein weitgehend unbekanntes Feld.
Welche Werkstoffe stehen bei Ihrer Forschung besonders im Fokus?
Eine Werkstoffklasse, die mich meine ganze Laufbahn hindurch begleitet hat, sind die Nitride. Das sind die chemischen Verbindungen des Stickstoffs mit Metallen. Eine Verbindung, mit der mein Name weltweit verbunden wird, ist das Titanaluminiumnitrid.
Welche Werkstoffe könnten in Zukunft von Bedeutung sein?
Was zuletzt immer mehr in den Mittelpunkt gerückt ist, sind die Boride, also chemische Verbindungen von Bor mit Metallen, die keramische Eigenschaften aufweisen. Die sind noch härter als die Nitride, aber naturgemäß auch viel spröder.
Materialien aus zwei Elementen wie binäre Nitride, Karbide oder Boride gelten als gut erforscht. Welches Potenzial haben Materialien aus drei oder mehreren Elementen?
Wir sprechen von ternären, quaternären oder multinären Verbindungen. Hier können die Materialeigenschaften deutlich verbessert werden. Gleichzeitig steigt bei der Entwicklung derartiger multinärer Systeme die Komplexität. Anders gesagt: Man braucht viel länger, um diese Verbindungen exakt zu erforschen und zu verstehen.
Zum Beispiel?
Titannitrid ist eine gängige Verbindung aus zwei Elementen, das schon lange eingesetzt wird. Nachteil: Es bildet eine poröse Oxidschicht. Fügt man dem Titan und dem Stickstoff aber Aluminium bei, ändern sich die Materialeigenschaften deutlich. Auch das Aluminium bildet eine Oxidschicht, die allerdings stabil und dicht ist. Titanaluminiumnitrid ist ein Werkstoff, der bei mechanischer Beanspruchung und Temperatur eine höhere Festigkeit entwickelt, deshalb ist er besonders geeignet für Bohr-, Schneid- oder Fräswerkzeuge.
Wenn man alle bekannten Elemente kombiniert, ergibt das doch unzählige Möglichkeiten.
Richtig, durch die Permutation gibt es Millionen Ansatzpunkte. Da stehen Sie als Forscher ein Leben lang vor Fragen, das hört nie auf, insbesondere bei Beschichtungen. Die Oberfläche ist immer kompliziertes Terrain, weil sie vielen Einflüssen ausgesetzt ist. Der Physiker Wolfgang Pauli hat gesagt: »Das Innere wurde von Gott erschaffen, die Oberfläche vom Teufel.«
Sie haben in Ihrem Labor eine INNOVA von Oerlikon Balzers. Wofür nutzen Sie diese Anlage?
Wir nutzen die INNOVA für eine möglichst industrienahe Prozessentwicklung. Ziel sind belastbare, stabile Beschichtungen. Dabei erarbeiten wir Grundlagenwissen. Was funktioniert? Wo und wie funktioniert es? Welches Spektrum an Möglichkeiten gibt es? Dabei nutzen wir auch aufwändige Computersimulationen, mit denen die Eigenschaften der Beschichtungen auf atomarer Skala berechnet und verbessert werden. Oerlikon Balzers verfeinert unsere Erkenntnisse dann mit ihren Spezialisten für die Anwendung beim Kunden.