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Beyond Surfaces Nr.8 - Medizintechnik

Biokompatibel: Was Skalpelle, Zahnkronen und Hüftgelenke gemeinsam haben. Testfrage: Tim Horn über Qualitätskontrolle und Standardisierung bei AM. Montia Nestler und Nancy Shepard: Sie lieben die Herausforderung

Beyond Surfaces Nr.8 - Medizintechnik

Rund 7.75 Milliarden Menschen leben auf der Welt – und es werden immer mehr. Gleichzeitig werden wir immer älter. Weltweit stossen Gesundheitssysteme an ihre Grenzen: die Kosten explodieren, und zu wenige Ärzte und Pflegepersonal müssen für zu viele Menschen sorgen. Mit Innovationen wird versucht, diesem Trend gegenzusteuern, und Patientinnen und Patienten nachhaltig und effizient zu behandeln.

Oerlikon deckt im hoch regulierten und komplexen Medizintechnik-Markt Lösungen entlang der gesamten Prozesskette ab. Gleichzeitig ist unsere individuelle Gesundheit auch ein sehr persönliches Thema. Mit der neuen Ausgabe unseres Magazins BEYOND SURFACES tragen wir beiden Aspekten Rechnung.

Beschichtungen und der additiven Fertigung (AM) kommen in der Medizintechnik immer grössere Bedeutung zu. Davon sind sowohl Andy Christensen, AM-Pionier im Medical-Bereich, als auch unsere interne Medizintechnik-Expertin Canet Akcigoz überzeugt. Welche Rolle Qualitätsbewusstsein bei der Beschichtung von Zahnimplantaten spielt, erklärt Lucas van der Merwe, CEO von Bächler Feintech, während Nancy Shepard, Director of Business Development bei Oerlikon AM Medical, auf sehr persönliche Art erzählt, wie sie plötzlich selbst Patientin wurde.

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Zum Wohl der Patienten

Menschen in blauen Operationskitteln gehen eilig umher, die Gesichter halb durch ihren Mundschutz verdeckt. Überall sind Schläuche und Kabel in unterschiedlichen Farben zu sehen. Sterilisierte Skalpelle aus Edelstahl, Pinzetten, Knochenbohrer, Klemmen und weitere chirurgische Instrumente liegen auf einem Tuch fein säuberlich aufgereiht bereit. Hier wird nichts dem Zufall überlassen.

Den medizinischen Instrumenten wird während eines Eingriffes einiges abverlangt. Wie Canet Acikgoz, Segment-Managerin für den Bereich »Medical« bei Oerlikon Balzers, erklärt, spielt dabei die Oberflächentechnologie eine entscheidende Rolle: Es wird immer mehr Augenmerk auf die Funktionsschichten gelegt, die auf Skalpelle, Nadeltreiber, Knochensägen und Reibahlen aufgebracht werden. »Mittels physikalischer Gasphasenabscheidung, englisch physical vapour deposition (PVD) genannt, können Materialien wie rostfreier Stahl und Titan mit extrem harten und dünnen Schichten überzogen werden. Durch das vakuumbasierte Beschichtungsverfahren lassen sich die zentralen Eigenschaften von medizinischen Instrumenten noch weiter verbessern«, erklärt sie.

Weniger Reibung und sauberere Schnitte

Ein wichtiger Faktor ist etwa die Reibung, die zum Beispiel die Leistungsfähigkeit eines Knochenbohrers beeinflussen kann. Denn je weniger Reibung ein solcher Bohrer erzeugt, umso weniger wird der umliegende Knochen in Mitleidenschaft gezogen. Im industriellen Bereich würde in so einem Fall mit Schmiermitteln gearbeitet – doch bei einer Operation ist dies nicht möglich. Canet Acikgoz und ihre Kollegen fragten sich deshalb: »Welche anderen Möglichkeiten als den Einsatz von Schmierfetten gibt es, um Reibung zu verhindern?« Sie kamen auf die Idee, medizinische Instrumente mit einer reibungsmindernden Schicht zu überziehen – die Technologie wird mittlerweile erfolgreich eingesetzt.

DLC-Schichten (Diamond-like-Carbon, also harte Kohlenstoffschichten) haben beispielsweise einen niedrigen Reibungskoeffizienten und überzeugen mit Korrosionsbeständigkeit, Antihaft- und Antifouling-Eigenschaften. Sie verbessern sogar den Erhalt der Scharfkantigkeit von chirurgischen Instrumenten und verlängern so die Lebensdauer der Instrumente erheblich. Und: Je sauberer der Schnitt des Chirurgen, umso kürzer ist die Zeit, die die Wunde braucht, um zu verheilen.

Schutz vor Korrosion

Beschichtungen können auch die Lebensdauer der oft teuren Instrumente verlängern. So müssen etwa Rongeure – Instrumente, die zum Ausbohren von Knochen verwendet werden – einigem widerstehen können. Blut und andere Körperflüssigkeiten enthalten zahlreiche Salze und Proteine. Nach der Operation geht es für die Rongeure in die Sterilisation, um sie für den nächsten Einsatz vorzubereiten. Oft kommen dabei sogenannte Autoklaven zum Einsatz. In diesen Kammern werden die Instrumente mittels erhöhter Temperatur, Druck sowie Dampf entkeimt. Salze, Proteine und Dampf können aber Messer korrodieren und ihre Klingen stumpf werden lassen. Spezielle Beschichtungen tragen dazu bei, dass das Grundmaterial, wie z. B. Edelstahl oder Titan, besser vor Korrosion geschützt ist. »Die schädlichen Stoffe können dann weniger gut eindringen und Schaden anrichten. Die Chirurgen können sich auf Instrumente verlassen, die länger einsatzbereit bleiben«, sagt Canet Acikgoz.

Aber die Mediziner müssen sich auch darauf verlassen können, dass sie jederzeit genau sehen, wie tief das Skalpell oder der Bohrer bereits eingedrungen ist – und dies in der taghellen Umgebung des Operationssaals. Von den Instrumenten reflektiertes Licht kann dabei unangenehm blenden oder ablenken. Edelstahl zum Beispiel, das häufig in medizinischen Umgebungen eingesetzt wird, ist stark reflektierend. Mit Hilfe von Oberflächenbeschichtungen lassen sich medizinische Instrumente dunkler einfärben, sodass sie Licht weniger reflektieren.

Die Chirurgen können sich auf Instrumente verlassen, die länger einsatzbereit bleiben.

Canet Acikgoz, Segment-Managerin für den Bereich »Medical«, Oerlikon Balzers

Farbkodierung für Instrumente

Da die Beschichtungen in verschiedenen Farben erhältlich sind, können Instrumente zudem unterschiedlich eingefärbt werden. Durch diese Farbkodierungen fällt es dem Operationspersonal leichter, die richtigen Instrumente jederzeit und innerhalb von Sekunden zu finden. Die Beschichtung kann auch als Markierung auf Bohrer aufgebracht werden, anhand derer der Chirurg oder die Chirurgin erkennt, wie weit der Bohrer bereits im Knochen steckt. All dies hilft den Fachleuten, im Operationssaal schnell und präzise zu arbeiten.

Infektionsprävention

Derzeit beschäftigen sich Canet Acikgoz und ihre Kollegen mit einem weiteren spannenden Thema: Wie kann die Oberflächentechnologie beim gefürchteten Thema »Infektionen« helfen? Denn in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen besteht immer die latente Gefahr, dass Keime von außen eingeschleppt und die Patienten gefährdet werden. »Wir arbeiten an antimikrobiellen Beschichtungen, um bei der Infektionsprävention im Operationssaal mitzuhelfen«, erklärt Acikgoz. Insbesondere Kupfer und Silber haben die Eigenschaft, die Ausbreitung von Bakterien einzudämmen. So lässt sich Operationsbesteck aus Titan und anderen Metallen mit Silber beschichten, um diese Wirkung zu erreichen. Doch mit der Beschichtung alleine ist es nicht getan, denn um antimikrobiell zu wirken, muss sich das Silber erst etwas auflösen. Erst dann können die Silberionen die Bakterien angreifen und eliminieren. »Um diesen Prozess zu starten, braucht es eine feuchte Umgebung«, erläutert Canet Acikgoz. Körperflüssigkeiten können diese Funktion übernehmen. Mit Silber beschichte medizinische Instrumente werden Antibiotika in der Bakterienbekämpfung zwar nicht ersetzen. Die Technologie könnte es Ärzten und Krankenhäusern jedoch ermöglichen, während der Operation weniger Antibiotika zu verwenden.

Erhöhte Präzision, verbesserte Langlebigkeit, und gänzlich neue Eigenschaften: Die von Oerlikon Balzers unter der Marke BALIMED vertriebenen Beschichtungslösungen leisten einen wesentlichen Beitrag dazu, medizinische Instrumente weiter zu verbessern. Damit Chirurgen effizienter arbeiten, und Patienten besser und gleichzeitig sicherer behandelt werden können. Geht es nach Canet Acikgoz, ihren Kollegen und Oerlikon Balzers, sind dabei präzisere und länger im Einsatz stehende Skalpelle und Knochenbohrer nur der Anfang.

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